Sonntag, 20. Juli 2008

Obama in Berlin: Mr. Medwedew, tear down this Gate!

Was soll das denn nun schon wieder? Nachdem Barack Obama die wochenlange Debatte um seine geplante Rede am Brandenburger Tor mit diplomatischem Geschick aufgelöst und angekündigt hat, die Rede woanders halten zu wollen, soll er nun auch nicht an der Siegessäule sprechen dürfen. Begründung (man halte sich fest): Die Nazi-Vergangenheit des Ortes.

Wir wollen dem FDP-Vize Rainer Brüderle, der diese Kritik geäußert hat, jetzt nicht daran erinnern, dass ganz Berlin eine Nazi-Vergangenheit hat. Aber ein bißchen Geschichtsnachhilfe muss sein: Die Siegessäule wurde nach dem erfolgreichen Krieg Preußens gegen Dänemark 1864 begonnen und 1873, zwei Jahre nach Gründung des Kaiserreiches, eingeweiht. Da Preußen während der Bauzeit noch zwei weitere Kriege geführt hat, nämlich gegen Österreich-Ungarn und gegen Frankreich, erinnert die Säule mit der Goldelse auch daran.

Und was haben nun die Nazis damit zu tun? Die Siegessäule stand zunächst auf dem Platz der Republik und wurde 1938 an ihren heutigen Standort versetzt, da sie den Umbauplänen Hitlers und Speers für Berlin im Weg war. Nicht mehr, nicht weniger. Dass die Siegessäule weniger ein Symbol des Nationalsozialismus, sondern eher des preußisch-deutschen Militarismus ist, hat zumindest der CDU-Hinterbänkler Andreas Schockenhoff erkannt: Die Säule sei "dem Sieg über Nachbarn gewidmet, die heute unsere europäischen Freunde und Verbündeten sind. Das halte ich für eine unglückliche Symbolik." Ich auch. Allerdings halte ich es ebenfalls für eine unglückliche Symbolik, wenn eine halbe Million Deutsche mit Nationalfahnen vor der Siegessäule das Deutschlandlied singen. Meines Wissens hat im Zuge der letzten WM aber niemand gefordert, die Fanmeile woandershin zu verlegen.

Nur - wo soll Obama denn nun sprechen? Vor dem Reichstagsgebäude, in dem Hitler und Goebbels gegen die Demokratie gewettert haben und dessen Brand als Alibi für den ersten gewichtigen Schritt Richtung NS-Diktatur diente? Oder vielleicht doch am Flughafen Tempelhof, der von den Nazis ausgebaut worden ist? Oder im Olympiastadion, von den Nazis für die Spiele von 1936 errichtet? Das könnte man ewig weiterführen. Auch das Brandenburger Tor hat durch den Fackelzug vom 30. Januar 1933 natürlich eine Nazi-Symbolik - die war aber nicht maßgeblich für die Debatte, ob Obama dort sprechen dürfe oder nicht, sondern Merkels Überlegung, ob er im Wahlkampf von der jüngeren geschichtlichen Bedeutung des Ortes profitieren könne.

Lächerlich, das Ganze. Wer nach Berlin kommt, begibt sich zwangsläufig auf historisch belastetes Pflaster (das zudem noch dauernd mit Hundescheiße bedeckt ist). Das ist nun mal das Erbe der ehemaligen Reichs- und geplanten Welthauptstadt. Irgendwie habe ich das Gefühl, gewisse Berliner Kreise wollen Obama mit dieser höchst überflüssigen Debatte möglichst weit aus dem Stadtzentrum heraushalten. Soll er doch am Brandenburger Tor sprechen - wo ist das Problem? Dass sich der schwarze Demokrat Obama in der Tradition des Kalten Kriegers Ronald Reagan aalen will, halte ich für nicht gerade wahrscheinlich. Außerdem befindet sich dort die neue US-amerikanische Botschaft Festung. McCain kann ja auch am Brandenburger Tor auftreten, wenn er will. Will er aber vermutlich nicht, denn er ist nach wie vor Kriegsbefürworter, und das nehmen ihm die Berliner übel.

Sollte es nicht ohnehin eher darum gehen, was man sagt - und nicht, wo man es sagt?

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