Samstag, 6. Juni 2009

Zu Wolles 70er-Revival-Party den Alkohol bitte selbst besorgen

Es ist wieder soweit: Die Bundesbürger werden in den nächsten Wochen wieder eine ganz dicke Kröte schlucken müssen. Anzeichen dafür, dass da was im Busch ist, häufen sich - jedes Mal, wenn die olle Kamelle mit den Alkohol-Testkäufen von Jugendlichen wieder durch die Gazetten gejagt wird, kann man sicher sein, dass damit von irgendetwas viel Bedeutenderem abgelenkt werden soll. Wer indes Augen zum Sehen und Ohren zum Hören hat, dürfte kaum überrascht sein, wenn ihm oder ihr heute wieder die frisch aufgewärmte Terrorgefahr vom Titelblatt oder aus dem Monitor entgegenblökt. Das passt gut zu Schäubles Lieblingsplan: Der Einsatz der Bundeswehr im Innern - vielleicht werden wir ja schon zur Bundestagswahl Soldaten auf den Straßen haben. Zur Sicherung vor Terroristen natürlich.

Denn vor ein paar Tagen sprach Schäuble beim Innenministertreffen in Bremen sein Langzeit-Lieblingsprojekt - eben diesen Bundeswehreinsatz, Arbeitstitel "Germany's Next Dictatorship" - mal wieder an. Bevor aber diese Schäublesche Wichsvorlage Vision ihren Weg in die Hirne der Bürger antreten konnte, wurden diese schnell mit dem nicht totzukriegenden Thema der Alk-Testkäufe vollgestopft. Zum gefühlt hundertsten Mal. Fällt das eigentlich niemandem auf, dass das Thema alle paar Wochen kurz auf-alcopopt und sofort wieder verschwindet - ohne irgendein Ergebnis zu zeitigen, eine Konsequenz oder auch nur eine ernstgemeinte Debatte? Und wenn wir schon mal dabei sind: Fällt niemandem auf, dass das überhaupt kein neues Thema ist? Jugendliche haben sich zu allen Zeiten ihren Stoff besorgt und werden das auch immer schaffen, Kontrollen und Gesetzesverschärfungen hin oder her. Es wird immer den älteren Kumpel geben, den man vorschickt. So, das musste mal gesagt werden. Zurück ins Studio.

Es war einmal in Usbekistan

Also: Schäuble träumt wohl schon wieder von Panzern gegen Demonstranten. Vielleicht haben ihn die zahlreichen Tiananmen-Retrospektiven inspiriert. Eben wegen dieses Datums war das Thema in Bremen aber zeitlich ungeschickt platziert, also gibt man lieber erstmal neue Pressemitteilungen zu besoffenen Kids heraus. Und beschließt, den Leuten die Notwendigkeit einer totalen Militarisierung des öffentlichen Lebens häppchenweise und Schritt für Schritt in den Brägen zu streuen.

Da wird zunächst einmal die Mär von der "Islamischen Dschihad-Union" neu aufgekocht. Erinnert sich noch jemand an die "Islamische Dschihad-Union"? Das waren die drei Pfeifen, die im Sauerland hopsgenommen wurden. Bis dahin hatte noch nie jemand etwas von diesem Verein gehört, und auch nachträglich geschieht das nur im Zusammenhang mit den Ferienhausterroristen. Für die mangelnde Prominenz der mittelasiatischen Möchtegern-Märtyrer gibt es gute Gründe, zum Beispiel den, dass diese Union mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Erfindung des usbekischen Geheimdienstes ist, der unter dem Vorwurf des Terrorismus gerne mal unbequeme Leute verhaftet. Usbekistan, dies sei am Rande bemerkt, gilt offiziell als Demokratie, dürfte dann aber wohl die einzige auf der Welt sein, in der der Präsident regelmäßig Wahlergebnisse von um die 90 Prozent erzielt.

Das Ende aller Dinge

Und diese furchterregende Dschihad-Union, die selbst im Internet nur ein höchst geisterhaftes Dasein fristet, kooperiert nun mit dem weltumspannenden Terrorkonzern Al-Qaida! Oh weh, das klingt nach sicherheitspolitischem Armageddon, nach Dämmerung der menschlichen Zivilisation. Eine Allianz der unheiligsten Art; das Böse und das noch Bösere schließen sich zusammen, es ist die Ankunft der apokalyptischen Kamelreiter. Einer der Momente, in denen die Welt den Atem anhält. Da paktiert der Teufel mit dem Beelzebub, Hitler mit Stalin, Weinbrand mit Cola: Das kann nichts Gutes bedeuten.

Zeit also, eine weitere Freiheit unter dem Fallbeil der inneren Sicherheit zu opfern. Einsatz der Bundeswehr im Innern - das ist schon längst keine hypothetische Problemstellung mehr, mit der sich höchstens Politologiestudenten in der Zwischenprüfung befassen, sondern eine ganz reale Drohung. Bei den G8-Protesten in Heiligendamm haben wir einen kleinen Vorgeschmack (Arbeitstitel hier: "Amtshilfe") bekommen, sind in dieser Hinsicht also bereits abgestumpft; es ist schon jetzt nicht mehr der Aufreger, der es einmal war. Und falls es doch jemanden aufregt: Soll der sich doch lieber erstmal an den Kioskbesitzern und Tankstellenpächtern abreagieren, die unseren Kindern Alkohol verticken.

70er reloaded

Terror, ick hör' dir trapsen: Diese Vokabel verhilft offenbar jedem faschistoiden Innenminister in jedem Land der Welt zu einem politischen Freibrief. Im Gegensatz zu Usbekistan muss ein solches Vorhaben hierzulande allerdings mit einem Minimum an Öffentlichkeitsarbeit begleitet werden, um das Volk zu besänftigen. Also raus mit den Pressemeldungen: Islamische Dschihad-Union wieder da, diesmal gemeinsam mit Al-Qaida; irgendwo im Land rührt schon wieder ein konvertierter Kevin Haarfärbemittel mit Backpulver zusammen, um das Bayreuther Festspielhaus in die Luft zu jagen. Holzauge, sei wachsam, tönt es aus Schäubles Moabiter Festung, die Terroristen sind unter uns, denkt an die 70er Jahre! Trotz der vielen Polizisten mit MPs schlugen die Terroristen immer wieder zu. Sie lauern überall!

Und was damals versäumt wurde, weil die verweichlichten Sozen an der Macht waren, kann man dann ja mal heute erst recht nachholen: Soldaten müssen auf den Straßen patroullieren! Hätte man das früher schon so gemacht, wäre die "Landshut" bestimmt nicht entführt worden. Zwar ist die Bundeswehr bekanntlich dazu da, die Republik vor äußeren Feinden zu schützen, aber dieser Feind ist ja nunmal unter uns! Und bezieht sich auf Usbekistan - wenn das kein Ausland ist!

Paranoia als Handlungsursache. Na, es kommt ja alles irgendwann wieder, also auch die Antiterrorpolitik der 70er Jahre - natürlich upgedatet auf Version 2.0, mit besserer Grafik und Soldaten und so. Willkommen bei Wolles Revival-Party! Wer was zu trinken haben will, kann ja eben den Nachbarsjungen zur Tanke schicken.

Ich frage mich eigentlich nur noch, ob die entsprechende Gesetzesvorlage noch vor der Wahl oder erst danach auf den Tisch kommt. Bis dahin stelle ich mir vor, wie derselbe Soldat, der mit seinem MG das Auto mit der afghanischen Familie zersiebte, weil die nicht anhalten wollten, wohl reagiert, wenn ein wütender Zug von Tausenden Demonstranten auf ihn zumarschiert.

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