Dienstag, 18. August 2009

Das langsame, qualvolle und multimediale Sterben des Michael J.

Vielleicht hat's nicht jeder gemerkt: Seit Wochen fechten Redakteure überall auf dem Planeten die Weltmeisterschaft der Panorama-Berichterstattung aus. Die diesjährige Wettbewerbsdisziplin lautet: Wie lange lässt sich der Tod eines Prominenten medial ausschlachten? Die Rede ist natürlich von Michael Jackson, dessen Sterben ein langsames und qualvolles ist. Langsam, weil es seit gefühlt zig Monaten andauert. Und allmählich qualvoll für jeden, der in diesen Tagen den Panorama-Teil seiner Zeitung aufblättert.

Noch ist keine Entscheidung in Sicht, noch haben viele Zeitungen und Onlinemedien Titelchancen, indem sie immer weiter über jeden Pups des Jackson-Clans berichten und jedem noch so unbedeutenden Gerücht einen eigenen Artikel widmen. Nur das Fernsehen ist in diesem Wettbewerb allmählich ins Hintertreffen geraten; vermutlich, weil es langsam auffallen würde, Berichte über Jackson mit immer denselben Archivbildern zusammenzubasteln.

Beispiele gefällig? "Arzt ließ Jackson vor seinem Tod allein", klagt etwa Spon an, weil der Leibarzt nach der Verabreichung der Medikamente Jacksons Schlafzimmer verlassen haben soll. Skandal! Jeder normale Doktor bleibt händchenhaltend am Bett des Patienten sitzen, bis das Medikament wirkt, auch wenn es Stunden dauern sollte - das weiß doch jeder. Und dieser Quackdsalber soll stattdessen mit seiner Praxis telefoniert haben! Mit seiner Praxis! Da geht es dem King of Pop schlecht, und dieser Scharlatan fragt nach seinen anderen, normalsterblichen Patienten! Zack, Aufmacherthema fertig. Jacksons Kinder vermissen ihren Papa? Wow, was für eine Sensation - gleich einen 60-Zeiler fertig machen und ab auf die Homepage! Natürlich werden bei dieser Gelegenheit auch Zweifel an der Vaterschaft seiner Blagen genüsslich aufs Korn genommen. Irgend jemand findet sich schließlich immer, der es für wahrscheinlich hält, dass Aliens ihn seines Spermas beraubt und es Jackson, quatsch: Debbie Rowe eingepflanzt haben. Und, by the way: Vielleicht ist diese Frau ja gar nicht die leibliche Mutter. Darüber berichten wir dann nächste Woche.

Und überhaupt: Ist Jackson eigentlich schon beerdigt worden? Das sind so die Fragen, die die Menschheit in Zeiten von Antiterrorkrieg, Neoliberalismus und Umweltzerstörung bewegen. "Ja", hieß es kurz nach der ebenso pompösen wie merkwürdigen Trauerfeier, und zwar "heimlich". "Stimmt gar nicht", hieß es kurz darauf. "Wohl!", nölten dann wieder andere, und zwar nach wie vor "heimlich". Des Rätsels Lösung ist übrigens nicht minder unappetitlich: Michael Jacksons Leiche sei tiefgefroren, wird man jetzt aufgeklärt, da er erst an seinem Geburtstag in zwei Wochen beigesetzt werden soll. Falls er vorher nicht geklaut wird, heißt das.

Übrigens gibt es hier ein paar Bonuspunkte für die-topnews.de für die herrlich emotionale Wortwahl "Michael Jackson liegt eingefroren in Kellergewölben" (wo er vermutlich darauf wartet, wachgeküsst zu werden) und den famosen Einstieg "Neue Gerüchte über Michael Jackson besagen, dass ihn Ärzte noch immer anfassen können" - was auch immer der Autor dieser Zeilen damit besagen will. Zusatzpunkte würde ich auch Bild.de verleihen wollen - für den moralinsauren und zeigefingererhobenen Artikeleinstieg "Nein, sie lassen ihm keine Ruhe – im Tod so wenig wie im Leben", bevor sich das Revolverblatt anschließend genüsslich der Frage widmet, ob Jacksons Nase mit ihm beerdigt werde.

Dabei wissen die Leser dieses Blogs doch längst, dass Jackson gar nicht tot ist, höchstens totgeritten. In Wirklichkeit, so sind 60 Prozent der Teilnehmer des letzten Votings überzeugt, lebt er mit Hitler und Elvis am Südpol. Andere waren der Meinung, dass er schon seit 20 Jahren tot sei, stellten damit aber nur ebenso eine Minderheit dar wie diejenigen, die glaubten, Jacksons Implantate hätten sich zu einer eigenen Intelligenz entwickelt, die - um die Weltherrschaft erlangen zu können - ihren Wirt töten musste (je 20 Prozent).

Egal, ob tot oder nicht - wie geht's weiter? Wann findet das Finale dieser redaktionellen Sau-durchs-Dorf-treib-WM statt? Das könnte noch dauern, wenn man sich den heutigen Spon-Artikel zum Thema ansieht: "Michael Jackson darf weiter vermarktet werden", jubiliert das führende Nachrichtenmagazin und behauptet, die Fans würden "aufatmen".

Die Redakteure vermutlich auch. Und alle anderen ebenfalls - schließlich hilft es manchmal, tief durchzuatmen, wenn man Brechreiz verspürt.

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