Samstag, 17. April 2010

Angst essen Programmplaner auf

Gut - dass es nicht ganz folgenlos bleibt, wenn der Flugverkehr über halb Europa eingestellt wird, ist klar. Und wenn man wegen des Efjalö... Elljöfa... Eyfjökal... wegen dieses Drecksvulkans seinen Karibikurlaub auf Cuxhaven umbuchen muss, ist das natürlich auch Mist. Aber wie bei allem gibt es auch hier eine positive Seite: Fernsehen hat schon lange nicht mehr soviel Spaß gemacht wie gestern. Dem Ersten war der "Vulkan mit dem unaussprechlichen Namen" gar einen "Brennpunkt" wert - es dürfte trotz aller Bemühungen der undramatischste "Brennpunkt" der gesamten ARD-Geschichte gewesen sein.


In bester "Breaking News"-Manier wird zur Vor-Ort-Reporterin Buckenmaier geschaltet, die den Ausbruch live mitbekommen haben soll (im Hintergrund: ein stinknormal bewölkter Himmel) und die die Frage, ob der Vulkan sich bald mal beruhigt, natürlich verneint und bei dieser Gelegenheit auch gleich auf die vielen Flutwellen hinweist, die genau hier, wo sie jetzt stehe, durchgerauscht seien und eigentlich immer noch durchrauschen würden (im Hintergrund: Eine malerische Bucht mit spiegelglatter Wasseroberfläche), weshalb jetzt auch die dadurch zerstörte Straße dringend repariert werden müsse (im Hintergrund: ein vorbeiknallender LKW und gelangweilt daherschlendernde Bauarbeiter).

Schnitt ins Studio zum Moderator, der sich immer noch beharrlich weigert, den Namen des Vulkans auszusprechen. Nach dem Abspulen der vorbereiteten Flughafen-Bahnhof-Mietauto-Hotel-MAZ geht's auch schon gleich weiter zum nächsten Vor-Ort-Reporter, diesmal am gähnend leeren Frankfurter Flughafen, den der Moderator mit der leicht plakativ formulierten Frage in Szene setzt, ob die Lage für die Gestrandeten "trost- und aussichtslos" sei (allen Ernstes!). Der Kollege lässt sich nicht lumpen und berichtet mit betroffener Miene von der Versorgung mit Ersatzunterwäsche, bevor sich mit der unvermeidbaren 08/15-Geld-zurück-Fragerei dem ebenso unvermeidbaren Experten zuwendet, in diesem Fall einem "Reiseexperten", was auch immer damit gemeint sein soll.

Zurück ins Studio, wo man auf dem Höhepunkt des Spannungsbogens endlich mit der Knüllermeldung herausrückt: Merkel musste in Lissabon landen! "Zum ersten Mal kann ein deutscher Regierungschef nicht zurückkehren...", intonierte der Sprecher mit bedeutungsschwerer Stimme. (Gut, dass der Schneiderhan entlassen worden ist - der hätte sich sonst an die Macht putschen können, während Merkel traurig in ihr improvisiertes Nachtlager im Ritz Carlton sank.) Dann flugs den nächsten Experten mit Fragen auf Vorschülerniveau traktiert und übergeleitet zur ebenfalls unvermeidbaren "Die schönsten Volkanausbrüche der letzten Jahrzehnte"-MAZ, dem Äquivalent zum zwingend vorgeschriebenen Info-Doku-Chronik-Kästchen in der Tageszeitung.

In diesem Moment fiel dem Moderator wohl selbst auf, dass der ganze "Brennpunkt" eigentlich überhaupt nicht richtig aufregend und die Programmumstellung gar nicht wirklich zu rechtfertigen war, zumal alle wesentlichen Infos bereits in der Tagesschau geliefert worden waren. Dafür hat er immerhin noch schnell im Wetterbericht, der eigentlich gar nicht nach alles erstickender Aschewolke aussah, die Stichwörter "Missernten, Hungersnöte, Unruhen" untergebracht, um anschließend - der Zuschauer soll ja trotz alledem mit einem angenehmen Gefühl entlassen werden - zur genauso wenig vermeidbaren augenzwinkernden Abschluss-Wellness-MAZ zu schalten, in der das vorübergehende Glücksgefühl eines der armen Würste, die in der Einflugschneise des Flughafens leben müssen, als Aufhänger missbraucht wurde.

Übrigens, drei Stunden später stand die wackere Island-Korrespondentin Buckenmaier immer noch auf der flutwellengepeinigten Straße und unternahm gemeinsam mit Sprecherin Susanne Holst einen letzten Versuch in Sachen Panikmache. Ich habe mir mal die Freiheit genommen, ein paar Stichworte hervorzuheben.
  • Holst: "Wie groß ist denn die Gefahr, dass dieser Ausbruch noch stärkere schlafende Vulkane in Island weckt?"
  • Buckenmaier: "Das ist die große Angst, die die Menschen, die in dieser Region leben, haben - sie sagen immer wieder: Dieser Vulkan macht uns keine große Sorge, aber der benachbarte [...] Der hat eine Kraft, die 50-100 Mal größer sein soll als die von diesem Vulkan hier hinter mir und das könnte dann wirklich verheerende Auswirkungen haben."
Yes - so und nicht anders macht man Nachrichten! In diesen paar Sekunden steckt mehr sexy Actionberichterstattung als in dem ganzen drögen 15-Minuten-Brennpunkt. Immer schön auf die drohende NOCH GRÖßERE GEFAHR hinweisen! So wie seinerzeit die gefürchtete zweite Schweinegrippe-Welle oder die mögliche Vogelgrippe-Mutation. Jede Sekunde könnte die ganze verdammte Insel explodieren! Und zwar genau dort, wo Buckenmaier steht.

Ach, übrigens: Man sollte das ganze Gelabere um die ökonomischen Folgen der Zwangsflugpause nicht überbewerten - die Wirtschaft hängt nicht davon ab, dass die Börsenyuppies auch an Wochenenden hin und her jetten können. Schließlich hatten die vor 80 Jahren auch keinen interkontinentalen Flugverkehr - und schafften es trotzdem problemlos, ihren Job zu machen und die Weltwirtschaft an die Wand zu fahren.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

"Asche" dürfte das Unwort des Jahres werden.

Zu den Börsenyuppies:
"Sich fortbewegen, ohne dabei abgehoben zu sein? Wie gewöööhnlich!!

TobiH hat gesagt…

Genialer Beitrag. Danke.