Samstag, 7. Januar 2012

Die Massivschlag-Doktrin der Presse-Nato

Also, langsam wird es aber wirklich lächerlich mit dieser Wulff-Geschichte. Immer kleinkarierter werden die Vorwürfe, immer pingeliger, immer absurder - wäre ich noch Student, würde ich meine Abschlussarbeit darüber verfassen: Wie die Medien einmal kollektiv mit der Brechstange einen Präsidenten loswerden wollen, verzweifelt nach Munition suchen und sich dabei zum Affen machen.

Jüngstes Beispiel: Spiegel Online kramt eine Pressekonferenz für Kinder von vor vier Jahren hervor, während der Wulff gesagt haben soll, dass er Redakteure manchmal gerne "schocke", woraus der Verfasser wohl ein grundsätzlich mieses Verhältnis des Politikers zu Journalisten abzuleiten versucht. Ich frage mich, was daran nun so aufregend sein soll: Das Verhältnis zwischen diesen beiden Gruppen muss doch ein gespanntes sein, damit es als gesund bezeichet werden kann. Ansonsten funktioniert die Presse nicht, da ist kein Platz für Kumpelei, auch wenn sie häufig genug vorkommt.

Vor ein paar Tagen lies die taz Wulffs Spießigkeitslevel anhand der Architektur des domus delicti analysieren. Wulff ein Spießer? Grundgütiger, das hätte ich nie für möglich gehalten! Ich dachte immer, der wäre voll cool, so cool wie Guttenberg, wenn nicht noch cooler. Aber dann dieses Haus! Schnell mal 'ne halbe Seite damit vollknallen, um dem Volk zu zeigen, was für einen analfixierten Briefmarkensammler es da als Ersatzkaiser vorgesetzt bekommen hat.

Und dann diese rührselige Welt-Geschichte mit der Halbschwester - oder nein, die "heimliche Schwester"! Die, über die er nie spricht, nicht einmal in der Bundespressekonferenz! Was zum... der Mann hat Familienprobleme? Und so jemand ist Präsident? Der soll mit Diktatoren konferieren, wenn er nicht mal mit seiner eigenen Verwandschaft richtig reden kann? Skandal!

Drei Beispiele, die zeigen, welch skurille Blüten die Treibjagd der aalglatten Sau durch das mediale Dorf nach sich zu ziehen geeignet ist. Keine Geschichte kann zu doof sein, um sie nicht auch noch in das redaktionelle Kanonenrohr zu stopfen und laut "FEUÄÄÄR!" zu schreien. Um das gleich klarzustellen: Ich will Wulff gar nicht in Schutz nehmen. Es ist ja schon schlimm genug, sich auf derselben Seite wie die Bildzeitung wiederzufinden. Wulff labert von Ehrlichkeit und Transparenz und konterkariert es im selben Atemzug, schon allein deswegen gehört er nicht in dieses oder irgendein anderes Amt. Und dann die Geschichte mit dem Kredit - Sie erinnern sich, dass es ursprünglich mal um einen Kredit ging? Die ist noch längst nicht geklärt - und das Schlimme daran ist: Darum scheint es gar nicht mehr zu gehen.

Nebenbei: So lächerlich der Spon-Artikel daherkommt, so widerwärtig ist der Welt-Artikel. Er schwulstet herum und bedient den Bauch des Lesers anstelle des Kopfes: Seht her, hier ist der erfolgreiche Smartguy Wulff - und hier seine Schwester, die es nicht leicht hat und der er kein Stück hilft. Wulff, du moralisch verkommenes Subjekt! (Das aus redaktioneller Sicht schöne an der Geschichte ist: Sie hätte auch andersherum funktioniert; wenn Wulff ihr nämlich geholfen hätte, hätte man trefflich über Amtsmissbrauch spekulieren können.)

Dabei gibt es doch so unglaublich viele Fragezeichen, mit denen man sich befassen müsste. Mein Gott, der Mann hängt mit Leuten wie Maschmeyer herum - wen interessiert da seine Halbschwester? Er behauptet, die Veröffentlichung des Bild-Artikels nur herauszuschieben statt zu verhindern versucht habe, lehnt eine Beweisführung via Veröffentlichung aber ab - was kümmern uns da die Bälger von 2008? Er nennt einen Kredit über eine halbe Million ein Freundschaftsdienst, den er (!) der Frau eines väterlichen Freundes (!) getan habe, der ihm dann, so scheint es zumindest, einen Bankkredit zu lachhaften Konditionen verschafft hat, als die Sache ans Licht kam - wer will da wissen, wie das Haus aussieht? Man hat fast den Eindruck, die Medien sehen vor lauter Fragezeichen das Thema nicht mehr.

Nach dem ersten Aufschrei der schultergeschlossenen Medienschaffenden nach Bekanntwerden des präsidialen Mailboxgepöbels - es ist eine Art Presse-Nato: Der Angriff auf eine Redaktion wird als Angriff auf alle angesehen - fangen die Journalisten, Publizisten und Blogger nun erwartungsgemäß an, übereinander herzufallen. Auf der Seite Wulffs steht zwar nach wie vor kaum jemand, und so ziemlich alle wollen ihn loswerden - aber in der Frage, warum und wieso er eigentlich wegmuss, sind sie so erfrischend uneins wie eine linke Splitterpartei. Bleibt die Frage, wann sich die ersten Leitartikler für den Verbleib Wulffs im Amt in die Brust werfen, bloß um es den Kollegen vom Konkurrenzblatt mal zu zeigen.

Nun, über eines kann man sich schon jetzt im Klaren sein: Wulff wird wahrscheinlich nicht über seine zu große Nähe zur Wirtschaft stürzen. Eher über Aussagen bei einer Kinderpressekonferenz. Mir graut ein wenig davor, darüber nachzudenken, was das über das politische Klima in diesem Land aussagt.


Nachtrag: Das Niveau der Kinderbelustigung ist mittlerweile erreicht.

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